Böhmen | Nordböhmen

Ein weiteres interessantes Siedlungsgebiet meiner Vorfahren war Nordböhmen, vor allem das Komotauer Land. Das Komotauer Land liegt im Nordwesten Böhmens im Gebiet des ehemals deutschsprachigen Raumes. Es erstreckt sich im Norden von der Grenze zu Sachsen in der mittleren Erzgebirgsregion bis im Süden zum Egerbogen. Vom 15. Jahrhundert bis 1946, also mindestens 350 Jahre, eher länger, lebten viele meiner Vorfahren der mütterlichen Linie in Kallich und den umliegenden Orten.

In Böhmen setzte die deutsche Kolonisation mit ungeheurer Wucht um die Mitte des 13. Jahrhunderts, etwa gleichzeitig mit dem Regierungsantritt Ottokars II., ein. Doch war sie als soziale Bewegung damals bereits seit zwei Generationen im Gange. Die gesamte Randzone Böhmens, die zuvor nicht oder nur wenig besiedelt war, wurde von deutschen Kolonisten urbar gemacht. Das alte Siedlungsgebiet des böhmisch-mährischen Beckens blieb dagegen – von wenigen deutschen Sprachinseln abgesehen – tschechisch. Die deutsche Einwanderung erfolgte in drei parallel laufenden Strömen: als städtische, bäuerliche und bergmännische. Hinzu kommen Vorstöße von Hofadel und Klerus. Als die erste deutsche Stadt der böhmischen Länder wird man Prag bezeichnen dürfen. Die Prager Kaufmannssiedlung erhielt von Sobieslav II. zwischen 1176 und 1178 jenes berühmte und so oft zitierte Privileg, das im Kern das ganze Problem der deutschen Zuwanderung und der deutschen Rechtsstellung enthält: „Noveritis, quod Theutonici liberi homines sunt“ („Wisset, daß die Deutschen freie Leute sind“). Der Herzog nahm die Deutschen in seinen besonderen Schutz. 

Die Herkunft der deutschen Kolonisten läßt sich mit einem hohen Grad von Gewißheit aus Orts- und Personennamen erschließen, wo nicht etwa besondere Herkunftsbezeichnungen noch genauere Schlüsse zulassen. Man kann unterscheiden zwischen der vermutlich seit langem einsickernden Kolonisation von den Grenzen her, über den Wald hinweg, und von der von weiterherkommenden, die neben den Anrainerstämmen noch andere deutsche Stämme ins Land brachte.

Böhmen ist ein historisches Territorium (Königreich Böhmen), gemeinsam mit Mähren und Österreich-Schlesien wurde es als Länder der Böhmischen Krone bezeichnet. Das Königreich Böhmen gehörte seit 1526 zu Österreich (Habsburg) und bis 1918 zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Von 1919 bis 1938 war Böhmen Teil der Tschechoslowakei (CSR). Von 1938 bis 1945 gehörte es zum »Dritten Reich« (Deutschland). Ab 1945 bis 1992 war Böhmen wieder Teil der Tschechoslowakei (CSR. bzw. CSSR bzw. CSFR) und gehört seit 1993 zu Tschechien.

Seit ca. Mitte des 14. Jahrhunderts war Böhmen in größere Verwaltungseinheiten eingeteilt. Diese Verwaltungseinheiten hießen auf deutsch Kreis (tschechisch Kraj). Je nach Zeitperiode gab es in Böhmen eine unterschiedliche Anzahl an Kreisen. Die Zahl, Namen und auch die Größe dieser alten böhmischen Kreise änderten sich im Laufe der Jahrhunderte mehrmals. Die damalige Kreiseinteilung bestand zwar bis ca. 1862, aber ab 1848 hatte sie nur noch für das Justizsystem Bedeutung. Als Verwaltungseinheiten der Exekutive spielten die alten Kreise ab ca. 1848 keine Rolle mehr.

Ab 1848 (nach dem Ende des Feudalismus) wurden in Böhmen die alten großen Verwaltungskreise ersetzt. Ein neues Verwaltungs- und Justizsystem wurde eingeführt. Die alten Kreise wurden ersetzt durch Politische Bezirke (Politicky okres), auch Bezirkshauptmannschaft (Okresni Hejtmanstvi) genannt, die normalerweise flächenmäßig kleiner als die früheren Kraj waren. Jeder Politische Bezirk bestand aus einem oder mehreren Gerichtsbezirken (Soudni okres). Sie wurden meist nach der Stadt benannt, in dem das Bezirksgericht ansässig war. Böhmen hatte ab 1848 ca. 80 Politische Bezirke (später ca. 104) und ca. 300 Gerichtsbezirke. Die Anzahl und Grenzen der politischen Bezirke und Gerichtsbezirke änderten sich im Laufe der Zeit öfter, auch wenn der Name meist gleich blieb. Insgesamt blieb dieses neue Verwaltungs- und Justizsystem jedoch mehr oder weniger gleich bis ca. 1938.

Ab 1938 (bis 1945) wurden die vorwiegend deutschsprachigen Gebiete Böhmens Teil des »Dritten Reichs« (Deutschland) sowie auch die entsprechenden Gebiete von Mähren und Österreich-Schlesien. Ab 1939 (bis 1945) wurden die überwiegend von Tschechen bewohnten Restgebiete der ehemaligen Tschechoslowakei zum Protektorat Böhmen und Mähren. Böhmen wurde in verschiedene Gebiete aufgeteilt und die Einteilung der Verwaltungseinheiten änderte sich.

Nach 1946 (nach dem Potsdamer Abkommen) wurde Böhmen (deutsch-ethnische und tschechisch-ethnische Gebiete) Teil des wiederauferstandenen Staates Tschechoslowakische Republik (CSR). Auf der Basis der sogenannten »Benes-Dekrete« wurde nahezu die gesamte »deutsch-ethnische Bevölkerung Böhmens« (sowie Mähren-Schlesien), »die Sudetendeutschen« entschädigungslos enteignet und vertrieben. Die Vertreibung der Sudetendeutschen – Odsun – betraf rund 3,1 Mio. Menschen, sie mußten die jahrhundertelange Heimat ihrer Familien verlassen.

Böhmens Fläche beträgt etwa 52.060 km². Es grenzt im Nordosten an Polen, im Osten an die historische Region Mähren, im Süden an Österreich, im Südwesten und Westen an Bayern und im Nordwesten an Sachsen.
Böhmen wird ferner begrenzt durch seine vier Randgebirge:
* Böhmerwald (südwestliche Grenze zum österreichischen Mühlviertel und Bayern)
* Erzgebirge (nordwestliche Grenze zu Sachsen)
* Sudeten (nördliche und nordöstliche Grenze zur Oberlausitz und zu Schlesien)
* Böhmisch-Mährische Höhe (östliche Grenze zu Mähren und südliche zum Waldviertel)
Aus Sicht der Verwaltungsgliederung bilden Nordböhmen etwa die Verwaltungseinheiten Ústecký kraj (Aussiger Region), Karlovarský kraj (Karlsbader Region) und Liberecký kraj (Region Liberec).
Im deutschen Sprachgebrauch wird oft unter Nordböhmen der einst überwiegend deutsch besiedelte Teil des Sudetenlandes im Norden Tschechiens zwischen Karlsbad im Westen und dem Riesengebirge im Osten bezeichnet.